Excerpt of Dual Mismo
Carlos Sáez (ES)
Wie real ist unsere Realität heute? Vom lateinischen “virtus” (Kraft oder Tugend) abgeleitet, ist “virtuell” ein Adjektiv, das sich ursprünglich auf das bezieht, was das Potenzial hat, eine Wirkung hervorzubringen, obwohl es diese in der Gegenwart nicht hervorbringt. Ein Gemälde oder ein Foto, ein Video oder ein Instagram-Profil einer Frau zeigt nicht die wirkliche Frau, sondern das, was sie sein könnte.
Jede Generation von Menschen ist in der Lage, sich an neue Ebenen der Virtualität in ihrem Leben zu gewöhnen und sie als real anzunehmen. Wenn wir zum Beispiel auf einer Website scrollen, nehmen wir an, dass wir eine Textspalte mit Bildern nach oben oder unten scrollen, während es sich in Wahrheit um eine Illusion handelt, die durch Computerprogrammierung erzeugt wurde, da es nichts über oder unter dem gibt, was auf unserem Bildschirm erscheint und alle Inhalte nur dank eines Codes in unsere visuelle Sprache übersetzt werden. Mit der Zeit fügen wir unserer Realität solche Mikro-Wahrnehmungen hinzu. Was wir heute Realität nennen, könnte für jemanden aus einem vergangenen Jahrhundert sehr virtuell sein.
Carlos Saéz (* 1988) ist ein multidisziplinärer Künstler, der sich auf digitale Medien spezialisiert hat. Sein Hauptuntersuchungsgegenstand ist die Beziehung zwischen Mensch und Technologie mit besonderem Fokus auf die Ästhetik der Maschinen selbst und ihrer Programmierung. 2012 gründete Sáez cloaque.org, ein auf dem surrealistischen Konzept des “exquisiten Kadavers” basierendes kuratorisches Webprojekt, an dem viele Internationale digitale Künstler*innen mitgewirkt haben. In seinen jüngsten Arbeiten beschäftigt er sich mit “morphologischer Freiheit” und nutzt Medien wie Illustration, Video oder 3D-Renderings, um den menschlichen Wunsch nach Veränderung des natürlichen Erscheinungsbildes in virtuellen Umgebungen zu thematisieren.